Diese Aufsatzsammlung analysiert die Darstellung und Diskussion von Flucht und Migration in der australischen Presse der späten 1930er Jahre. Im Zentrum steht die Frage, wie Presseberichte zur Konstruktion von Fremdheit, Zugehörigkeit und nationaler Identität beitrugen, insbesondere im Kontext globaler Fluchtbewegungen aus dem nationalsozialistischen Europa. Die Blogbeiträge untersuchen anhand diskursanalytischer Methoden, welche Narrative – etwa Bedrohung, Überfremdung, ökonomische Belastung oder Humanität – in führenden australischen Zeitungen reproduziert und verhandelt wurden. Besonderes Augenmerk gilt dabei der restriktiven „White Australia Policy“ und der grundlegenden Prägung nationaler Identität durch Medienrhetorik. Die unterschiedlichen Beiträge nehmen spezifische Fallbeispiele in den Blick, darunter die Berichterstattung über die Évian-Konferenz, die Aufnahme jüdischer Flüchtlinge, die Darstellung unbegleiteter Migrant:innen und die spezifischen Narrative zu einzelnen Gruppen oder Ereignissen. Ebenso werden die Wechselwirkungen von Politik, Presse und Öffentlichkeit sowie die Spielräume für solidarische oder ausgrenzende Diskurse beleuchtet. Methodisch basiert das Projekt auf der Auswertung digitalisierter Zeitungsquellen und einer multiperspektivischen Herangehensweise im Rahmen eines universitären Lehrprojekts. Insgesamt verdeutlicht die Beiträge die historische Verwobenheit von medialen Diskursen, migrationspolitischer Praxis und gesellschaftlicher Identitätsbildung, deren Nachwirkungen bis in die Gegenwart reichen.

Rezeption der Australian Jewish Welfare Society in The Age und The Sydney Morning Herald zwischen 1938 und 1943
Maximilian Langbrugger, Jonas Steinmetz
1. Einleitung
Die Aufnahme jüdischer Geflüchteter aus Europa während des Zweiten Weltkriegs ist eng mit der Geschichte der Australian Jewish Welfare Society (AJWS) verknüpft. Seit ihrer Gründung 1937 setzte sie sich nicht ohne Widerstand der australischen Regierung für die Aufnahme von geflüchteten Jüdinnen und Juden ein, verlangte allerdings auch eine gewisse Monopolstellung hierbei. Gleichermaßen verlangte sie den ankommenden Europäer:innen auch einiges ab, da die ständige Sorge um den Ruf der jüdischen Gemeinden in Australien in den Augen der AJWS eine Assimilation der Geflüchteten bedingte.[1] Gerade diese öffentliche Wahrnehmung der AJWS ist für uns in dieser Seminararbeit von Interesse.
Dieser Beitrag hinterfragt, wie über die Arbeit der „Australian Jewish Welfare Society“ zwischen 1938 und 1943 im „Sydney Morning Herald“ und in „The Age“ berichtet wurde.
Hierbei möchten wir einerseits herausfinden, welche Themen die beiden Tageszeitungen in Bezug auf die AJWS überhaupt aufgriffen und anderseits, wie die Berichterstattung darüber aussah. Dominierten Artikel, die die Tätigkeit kritisierten, lassen sich lobende Worte erkennen oder wird versucht, einfach nur die Geschehnisse ohne jedwede Ergänzung in Form von Kurzmeldungen wiederzugeben.
Um diese Fragen zu beantworten, werden wir alle Zeitungsartikel der beiden Zeitungen im Zeitraum von 1938 und 1943, die einen erkennbaren Bezug zur AJWS erkennen lassen und auffindbar sind, einer qualitativen Inhaltsanalyse angelehnt an Mayring[2] unterziehen. Wir werden als relevant erscheinende Zeitungsartikel lesen und kodieren. Hierbei kodieren wir offen, um möglichst ergebnisoffen zu arbeiten. Im Anschluss werden wir versuchen, die Ergebnisse nach Themengebieten zu gliedern. Diese Themengebiete sollen in nachfolgender Arbeit vorgestellt und mit Sekundärliteratur kontextualisiert werden.
Demnach ergibt sich folgender Aufbau der Seminararbeit. Zu Beginn wird skizzenhaft auf die Vorgeschichte der AJWS eingegangen. Der Hauptteil, soll wie bereits erwähnt einzelne Themengebiete, die in den Zeitungen thematisiert wurden, umfassen. Hierbei werden wir zuerst auf die AJWS als innenpolitische Akteurin eingehen und uns der Organisation beziehungsweise ihrer Aufgaben widmen. Anschließend möchten wir uns den internationalen Bemühungen der AJWS widmen, um daraufhin kurz auf den Fall der HMT Dunera[3] im Kontext der Welfare Society und der Berichterstattung einzugehen. Im Sinne des Kontextes einiger Zeitungsartikel soll danach skizzenhaft auf die weiteren Entwicklungen der AJWS bis 1945 in Verknüpfung mit der Berichterstattung eingegangen werden. Dieses Kapitel soll nach aktuellem Stand vor allem dazu dienen, alle Artikel, die nicht in eine andere Kategorie passten, aber erwähnenswert sind in die Arbeit zu inkludieren. Abschließend werden wir ein Resümee ziehen und versuchen prägnant die Forschungsfrage zu beantworten.
Als Quellenmaterial werden Zeitungsartikel der Zeitungen The Age und Sydney Morning Herald herangezogen. Die relevanten Ausgaben sind allesamt auf Trove, dem australischen Zeitungsarchiv der Australischen Nationalbibliothek abrufbar.[4] Der Fokus auf Zeitungen eröffnet ein neues Forschungsfeld, da sie zu einem hohen Maße die öffentliche Meinung beeinflussen.[5] Wir haben uns für diese beiden Zeitungen entschieden da diese in den Städten Sydney und Melbourne, in denen die meisten Jüdinnen und Juden aus Europa ankamen, erschienen sind.[6] Der 1831 gegründete und seit 1840 täglich erscheinende The Sydney Morning Herald[7] wird für den zu untersuchenden Zeitraum als links-liberale Zeitung beschrieben.[8] Nicht in Sydney, sondern in Melbourne erscheint seit 1854 beziehungsweise seit 1856 als Tageszeitung The Age.[9] Auch diese Zeitung gilt als liberal, auch wenn dazugesagt werden muss, dass zurzeit unserer Betrachtung die Auflagenstärke drastisch zurückging und die Zeitung um ihre Identität rang. Da entscheidende Schritte zur Modernisierung ausblieben, verfiel The Age zunehmend in konservative Routinen und verlor, gerade im Vergleich zum innovationsfreudigen Morning Herald, an Relevanz und Attraktivität.[10] Weiters ist anzumerken, dass diese beiden Zeitungen nicht in Konkurrenz, wie zum Beispiel The Argus, zueinander standen.[11] Um Platz zu sparen, werden die Zeitungen in nachfolgender Arbeit oftmals abgekürzt und als SMH und Age bezeichnet.
2. Die Entstehung und Organisation der AJWS
2.1. Die Anfänge
Obwohl Vertreter:innen jüdischer Gemeinden bereits 1933 bei der australischen Regierung intervenierten, um die Aufnahme jüdischer Geflüchteter aus Deutschland zu erleichtern, verweigerte Australien jedwede Zugeständnisse.[12]Eine große Hürde für die Geflüchteten war das „Landing money“. Da nicht zwischen Geflüchteten und Einwander:innen unterschieden wurde, mussten alle Ankommenden in den 1930er-Jahren gleichermaßen über ein Vermögen von mindestens 500 Pfund verfügen.[13] Dies wurde zwar zwischenzeitlich, insbesondere als Folge der nationalsozialistischen antisemitischen Gewalt im Deutschen Reich und der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in Australien auf 200 Pfund gesenkt. Im Falle, dass jüdische Organisationen als Bürgen auftraten, benötigten die Geflüchteten nur ein Vermögen von 50 Pfund. Zu diesem Zweck wurde aufgrund staatlicher Bestrebungen von den jüdischen Communities der German Jewish Relief Fund gegründet, um die Aufnahme zu unterstützen. Ein Jahr später wurde unter dem Vorsitz von Sir Samuel Cohen aus diesem Relief Fund die Australian Jewish Welfare Society (AJWS) gegründet.[14] Hierbei muss jedoch auch erwähnt werden, dass ab Beginn des Jahres 1939 die Regierung das Landing Money wieder auf 500 Pfund angehoben hatte.[15]
Zusätzlich zum Landing Money benötigten alle „nicht britischen“[16] Einwanderer eine Genehmigung, Australien zu betreten. Diese „Landing Permit“ wurde vor allem zur Regulierung der Migration eingesetzt. Auch hier wirkte die Welfare Society unterstützend mit. Ihr wurde von der Regierung das Recht eingeräumt, über 750 Asylanträge pro Jahr selbstständig zu entscheiden und die Ausstellung von Landing Permits zu empfehlen. Zusätzlich wurde der Organisation ein Mitspracherecht bei weiteren 1500 Fällen pro Jahr eingeräumt, wodurch der meiste Kontakt zwischen Geflüchteten und der australischen Verwaltung über die AJWS lief. Jüdische Geflüchtete, die sich nicht an die AJWS wenden wollten oder konnten, wurden 850 weitere Plätze pro Jahr zugestanden, über die die Regierung allein verfügte. Trotzdem muss hierbei darauf verwiesen werden, dass ab 1939 die Regierung der AJWS Vorschläge, deren Freiwilligkeit zu diskutieren ist, welche Personen erwünscht waren, überbrachte. Hierbei sollten vor allem junge talentierte Handwerk:innen bevorzugt aufgenommen werden. Jüdische Menschen, die in Deutschland und Österreich als Angestellte oder Buchhalter gearbeitet hatten, sollte die AJWS auf Anweisung des Innenministeriums nicht zur Aufnahme vorschlagen. Offensichtlich gab es keinen Bedarf an Arbeitskräften in diesem Bereich. Gleichermaßen schlugen Bemühungen der Welfare Society fehl, Anträge zu beschleunigen beziehungsweise neu aufzunehmen. Diese Praxis führte jedoch dazu, dass jüdische Geflüchtete, die aufgrund ihrer Berufsausbildung oder ihrem Alter nicht den Wünschen des Innenministeriums entsprachen, von der AJWS vorgefertigte Ablehnungsschreiben bekamen, da die Anzahl an Plätzen sowieso begrenzt war.[17]
Auf die Aufgaben der AJWS vor allem jene, die in der Öffentlichkeit und insbesondere in den Zeitungen wahrgenommen wurden, wird in folgendem Kapitel eingegangen.
2.2. Die Organisation und ihre Aufgaben
Die AJWS wurde durch unzählige Spenden ab 1938 von einer kleinen Organisation bestehend aus Freiwilligen zu einer landesweit operierenden Einrichtung mit fester Struktur und fixen Angestellten. Hierbei übernahm sie viele Funktionen, die vor allem auf die Hilfe mit materiellen Gütern fokussiert war.
Schließlich war die AJWS vor allem auch bestrebt, die Geflüchteten so rasch wie möglich zu assimilieren und zu „echten Australiern“ zu machen. Gleichermaßen sollten sie möglichst wenig auffallen, weswegen eine Ansiedlung am Land gegenüber dem Stadtleben bevorzugt wurde. Um sich möglichst bedenkt zu halten, wurde den Geflüchteten durch die Welfare Society geraten in der Öffentlichkeit gar nicht oder wenn erforderlich sehr leise deutsch zu sprechen, um ebenso möglichst nicht aufzufallen und als Emigrant:innen erkannt zu werden.[18] Dies lässt sich auch in den Zeitungen wiederfinden. Beispielsweise berichtet der SMH in positiver Weise über die 1938 ankommende Jüdinnen und Juden aus Österreich, indem Passagiere zu Wort kommen, die ihre Mitreisenden loben. Gleichermaßen kommt in selbem Artikel W. S. Matzdorf, ein Leiter der AJWS zu Wort, der darauf hinweist, wie wichtig das Erlenen der Sprache und die Ansiedlung im ländlichen Gebiet sei.[19] Bereits bei der Ankunft wurde den Ankömmlingen von der Welfare Society bereits erwähntes Informationsmaterial ausgehändigt, dass ihnen abriet, in der Öffentlichkeit Deutsch zu sprechen und sie zum Englisch lernen aufforderte. Gleichzeitig wurde ihnen die Verbindung zwischen ihrem Verhalten und der Wahrnehmung der australischen Jüdinnen und Juden durch die restliche Bevölkerung vermittelt, wodurch sie aufgefordert wurden, sich zu benehmen.[20] Zu diesem Zweck wurden auch Versammlungen wie jene in Sydney im Juli 1939 abgehalten. Zweck dieser Versammlung war, den Geflüchteten zu zeigen, wie sie sich in Australien kleiden sollten um nicht als Europäer:innen, die nach europäischer Mode gekleidet waren, aufzufallen.[21] Ein anderes Event bestand aus einer Vorlesung über die Geografie und die Industrialisierung in Australien.[22]
Zusätzlich war die AJWS auch nach der Ankunft in die Belange von Geflüchteten involviert. Beispielsweise berichtet der SMH über einen Uhrmacher, der auf Bestreben der AJWS einem deutschen Kollegen Arbeit garantierte, wodurch dieser nach Australien einreisen durfte. Als der betreffende Handwerker nicht bei besagtem australischem Uhrmacher die Arbeit antrat, sondern ein eigenes Geschäft eröffnete, begann die AJWS eine Untersuchung einzuleiten.[23]
Die AJWS kümmerte sich unter anderem um den Aufbau von Gemeinschaftsunternehmen und gemeinschaftlich betrieben Bauernhöfe, um die geflüchteten Jüdinnen und Juden in das Stadt- und Landleben Australiens zu integrieren.[24] Das Training auf den Bauernhöfen sollte eine Voraussetzung dafür sein, eigene landwirtschaftliche Betriebe zu bewirtschaften.[25] Die untenstehende Abbildung zeigt, wie ein solcher Betrieb vermutlich aussah. Einrichtungen dieser Art gab es in Australien bereits seit mindestens einem Jahrzehnt bevor diese Trainingsmethoden auch von der AJWS genutzt wurden. Diese zwölfwöchige Ausbildung richtete sich vor allem an verheiratete Paare. Nach Geschlechtern getrennt, sollten unterschiedliche Arbeiten vom Melken über Schlachtung bis hin zur Herstellung von Käse erlernt werden. Im Anschluss war eine Aufteilung der Paare in die unterschiedlichsten Regionen geplant, um die Bildung von deutschen Siedlungen zu vermeiden.[26] Zu diesem Zwecke wurde deren Ansiedlungen kontrolliert. Gegenüber der SMH gab ein Vertreter der Welfare Society an, die Ansiedlung einer großen Anzahl jüdischer Geflüchteter in Kings Cross, einem Stadtteil von Sydney, zu verhindern. Den Betroffenen wurde geraten, sich Wohnungen in den verschiedenen Außenbezirken zu besorgen, um weniger aufzufallen und die Entstehung deutsch geprägter Viertel zu vermeiden.[27] Hierbei ist auch ein weiterer Bericht des Morning Heralds hervorzuheben. Ein Journalist der Zeitung hatte die Trainingsfarm der AJWS besucht und mit den Beteiligten gesprochen. Der anschließende Artikel kann als sehr positiv beschrieben werden. Nicht nur der rasche Spracherwerb der Arbeiter:innen wurde gelobt, auch das Bestreben, so rasch wie möglich zu „Australier:innen“ zu werden und die Fröhlichkeit der Leute wurde hervorgehoben.[28]

Ein weiteres Anliegen der Welfare Society war die Unterbringung von geflüchteten Kindern. Dieses Thema wurde auch von den Zeitungen aufgegriffen. Der SMH thematisiert diese Unterstützung, indem er beispielsweise auf die Unterbringung der alleinreisenden Kinder in Häusern im Besitz der AJWS verweist.[29]
Gleichermaßen verteidigte die Welfare Society jüdische Geflüchtete vor den verbalen Angriffen australischer Politiker und bekam in einigen Fällen auch Unterstützung von Regierungsmitgliedern. In den Zeitungen lassen sich hierbei Berichte lesen, in denen die AJWS beispielsweise einer Anschuldigung eines australischen Politikers widerspricht und auf den hohen Bildungsstandard der ankommenden Geflüchteten verweist.[30] Außerdem wird von der Ehrenvorsitzenden der Organisation, Miss Barkmann der hohe Lebensstandard und das daraus resultierende gute Benehmen hervorgehoben, dass die Geflüchteten nach Australien mitbringen würden und demnach eine Bereicherung für den Kontinent seien.[31]Auch dem Vorwurf der „faulen Migrant:innen“ wird immer wieder in den Zeitungen widersprochen.[32] Gleichermaßen sah sich die AJWS in der Pflicht öffentlich wirksam das Gerücht, die Geflüchteten wäre alle Schwarzmarkthändler oder anderweitig kriminell zu dekonstruieren.[33]
Die AJWS wurde jedoch auch von nationalistischen Politiker:innen nicht komplett als Feindbild gesehen. Immerhin mussten für die Tätigkeit der AJWS keine öffentlichen Gelder aufgebracht werden. Hierbei ist auch ein Artikel einer Parlamentsdebatte unter anderem von Graham Pratten, der nationalistischen Partei im SMH zu erwähnen. Pratten spricht sich vor allem für eine Begrenzung der Aufnahme von jüdischen Geflüchteten aus, lobt allerdings die Arbeit der AJWS. Ihre Tätigkeit sei wichtig für die Versorgung der Neuankömmlinge und deren Eingliederung in die Gesellschaft. Aus diesen Gründen sollte die AJWS die Begrenzung der Einwanderung jüdischer Menschen übernehmen. Prattens Beitrag wird jedoch von der Zeitung durch die Einbindung anderer Redebeiträge, die den Politiker wegen seines Fokus auf das Judentum kritisieren, rekontextualisiert.[34]
Auch wenn Zeitungen wie etwa der Sydney Morning Herald 1939 relativ positiv über die jüdischen Flüchtlinge und die AJWS berichteten, kam es auch in Australien zu antisemitischen Angriffen. Versammlungen wurden durch Flugblätter gestört, die in Form von Hakenkreuzen ausgeschnitten waren. Jüdische Kulturzentren und Bibliotheken wie jene in Melbourne wurden durch Steinwürfe beschädigt.[35] Diesbezüglich äußerte die AJWS Bedenken über mögliche Agenten des NS-Regimes, die sich zum Zwecke der Aufwiegelung eingeschlichen haben könnten.[36]

Diese Verbindung mit außen- beziehungsweise internationaler Politik wird im nächsten Kapitel genauer behandelt.
3. Internationale Rahmenbedingungen für nach Australien flüchtende Personen
Die Australian Jewish Welfare Society war die größte australische jüdische Hilfsorganisation für Geflüchtete, welche dem Terror des NS-Regimes entkommen wollten. Hierfür wurde es notwendig mit den jeweiligen australischen Regierungen zu kooperieren und zurecht zu kommen. Es ist hierfür notwendig kurz darauf einzugehen, wie sich die australischen Regierungen in den in diesem Text bearbeiteten Zeitraum zu den jeweiligen Geflüchteten verhielten. Der Fokus wird hier vor allem auf die für die AJWS relevantesten Ereignisse gelegt werden.
Vor Beginn des Zweiten Weltkrieges sah sich die australische Bevölkerung selbst mehrheitlich als „britisch“. Da jede Person, welche die australische Staatsbürgerschaft hatte, automatisch als britische:r Staatsbürger:in galt.[37] Ein Begriff, welcher im zeitgenössischen Kontext mit rassistischem Hintergrund zu lesen ist. In diesem Kontext wurden Mitglieder jüdischer Glaubensgruppierungen nicht als „weiß“ gesehen und somit von diesem Gesellschaftsbild ausgeschlossen. Dies äußerte sich auch in Aussagen wie jene eines Senators namens Foll, welcher sich 1939 für die Aufnahme von Personen aussprach, solange diese nicht jüdisch waren. So wurde auch angestrebt, dass für die australische Kriegsindustrie nicht-jüdische schweizerische Ingenieur:innen gewonnen wurden.[38]
Bereits vor Kriegsbeginn kam es zu Fluchtbewegungen aus Europa nach Australien. Diejenigen, welche die lange und teure Reise überstanden hatten, mussten bei der Landung, je nachdem ob sie Vertrauenspersonen in Australien hatten oder alleine ankamen, eine vorhin bereits erwähnte „Landungsgebühr“ entrichten. Im Fall jüdischer Geflüchteter kam, sofern möglich und notwendig, die AJWS bürgte hierbei für die betroffenen Personen.[39] Exemplarisch für den Umgang der australischen Regierung hiermit ist die Aussage von Colonel Thomas White bei der Evian Konferenz 1938: „Australia does not have a racial problem and is not desirous of importing one.“ Von australischer Seite wurde auch dahingehend argumentiert, dass man erst ein junges Land sei, sich deswergen erst auf die eigenen, in diesem Fall britischen, Einwanderer konzentrieren sollte und man den Arbeitsmarkt nicht mit anderen Migrant:innen überfluten wollte. Die AJWS wurde hier als hauptverantwortliche Organisation für jüdische Geflüchtete angeführt. Gleichzeitig seien die Bemühungen dieser auch bereits alles was man von australischer Seite tun könnte.[40] Australien positionierte sich hiermit deutlich als abgeneigt gegenüber nicht-britischer Migration. Was sich in ihrer Ausführung der „White Australia Policy“ zwischen 1901 und 1966 widerspiegelt. Diese sah vor, dass nicht-britische Migration nach Australien möglichst beschränkt werden sollte.[41] Im Gegenzug dazu forderte man konkret, dass man mehr als britisch gesehene Menschen nach Australien schaffen müsse, um genügend Arbeitskräfte zur Verfügung zu haben. Eine Forderung, welche der damalige Premierminister Joseph Lyons selbst im Sydney Morning Herald aussprach.[42] Bis zum Ende des Krieges sollte diese Ideologie in Australien weit verbreitet sein. Beispielsweise äußerte sich der Nachfolger Lyons, John Curtin, welcher von 1941 bis 1945 im Amt war, zu Beginn des Krieges folgendermaßen zu Fragen der Migration:“ This country shall remain forever the home of the descendants of those people who came here in peace in order to establish in the South Seas an outpost of the British race.“[43] In der Presse wurde dieses Narrativ auch übernommen und in Verbindung mit Curtins Beharrlichkeit auf dem Bild eines „zivilisierten, britischen Landes“ wurde alle Personen außerhalb Australiens, die nicht unter die Herrschaft Großbritanniens vielen, als „Aggressor“ beschrieben.[44] Dies äußerte sich beispielsweise auch darin, dass die AJWS die Geflüchteten dazu aufrief sich so schnell wie möglich zu integrieren, damit sie nicht, wie von Teilen der Bevölkerung befürchtet wurde, eigene „Siedlungen“ unter sich bilden.[45]
Am deutlichsten zeigt sich diese Entwicklung an der Einführung des „enemy alien“ Status. Dieser wurde all jenen Personen verliehen, welche Staatsbürger eines Landes wahren, mit welchem Australien sich im Krieg befand. Dies führte dazu, dass Personen, welchen in diesen Kontext feindliche Absichten gegenüber Australien vorgeworfen wurden die Einreise verwehrt, oder sie interniert wurden.[46] Hierbei ist zu beachten, dass zu Beginn des Krieges weder die australische Regierung noch die dortigen jüdischen Gemeinschaften oder die Gesamtbevölkerung sich über die Ausmaße, welche der Holocaust und die Shoah annehmen sollten bewusst waren. Erst im Laufe des Krieges sollte sich ein Bewusstsein dafür entwickeln.[47] Ob dieses Wissen dazu beigetragen hätte, dass die australische Gesellschaft jüdische Personen in größerer Anzahl und offener aufgenommen hätten, bleibt zu bezweifeln. Es herrschten weiterhin antisemitische Stereotype vor und der Wille, dass man eine Art britische Identität bewahren wollte. Unter diesen Umständen fand die Arbeit der AJWS statt, welche in gewisser Weise einen Balanceakt zwischen dem Willen jüdischen Personen zu helfen und die australische Gesellschaft nicht zu verärgern darstellte.
3.1. Internationale Bemühungen der Australian Jewish Welfare Society
Diese Rahmenbedingungen erleichterten die Arbeit der Australian Jewish Welfare Society nicht im Geringsten. Vielmehr musste sie bei ihren Versuchen jüdische Geflüchtete vor den Schrecken des Krieges in Europa in Sicherheit zu bringen gegen rassistische Vorurteile ankämpfen. Neben den vorhin erwähnten umfassenden Tätigkeiten der AJWS innerhalb Australiens, betätigte sich diese auch in der Organisation von Transportmöglichkeiten für Personen, welche nach Australien fliehen wollten. In diesen Umständen war die AJWS zumeist sich selbst überlassen, nur gelegentlich wurde sie von der australischen Regierung unterstützt. Vermutlich, da diese einen Mehrwert für sich selbst darin sah bestimmte Fachkräfte und Personen nach Australien zu bringen.[48] Bei ihren Bemühungen jüdische Personen aus Europa bei der Flucht zu unterstützen fokussierte nahm die AJWS insbesondere bei der Organisation des Transports für jüngere Personen eine verstärkte Rolle ein. Dieser Fokus sollte in der weiteren Arbeit der AJWS während des Krieges immer wieder zum Vorschein treten.
Um die herrschenden antisemitischen Vorurteile nicht weiter anzufachen, setzte die Welfare Society darauf nur jene Geflüchteten nach Australien zu bringen, welche schnelles Integrationspotenzial aufwiesen. Gleichzeitig wurde die Anzahl dieser Personen drastisch begrenzt. 1938 sollte etwa ein Schiff mit 800-900 jüdischen Personen von Deutschland nach Sydney reisen. Das erklärte Ziel der Reise war, diese Passagiere dort anzusiedeln. Die Welfare Society sprach sich vehement dagegen aus, um die britische/australische Bevölkerung nicht mit einer so großen Anzahl an jüdischen Personen zu überfordern. Die AJWS berief sich hierbei auf das vom Innenministerium verliehene Recht, die ankommenden Menschen selbst auswählen zu dürfen.[49] Nach dem Anschluss Österreichs 1938 änderte sich dieser Umstand drastisch. Die australische Regierung gestattete bis zu 100 jüdischen Personen wöchentlich die Einreise, woraufhin bis zu 8000 Anfragen wöchentlich bei der AJWS eingelangten, welche daraufhin ihr Büro vergrößern musste. Weiters entschloss man sich nach Kriegsbeginn dazu die Zuständigkeiten der Welfare Society, welche sich bis dahin auf deutsche jüdische Personen beschränkte, nun auch auf polnische Staatsbürger:innen auszuweiten.[50]
Für den Juli 1940 ist die Planung eines Fluchtversuches dokumentiert, welcher hier exemplarisch für die Vorgehensweise der AJWS beschrieben wird. Hierbei suchte die AJWS bei der australischen Regierung darum an, 500 jüdischer Kinder aus den Niederlanden oder Belgien aufnehmen zu dürfen. Die australische Regierung genehmigte 100 Personen, welche zwischen sieben und 14 Jahren alt sein sollten. Diese sollten, im Einklang mit gängigen Migrationsstandards, in guter körperlicher und mentaler Verfassung sein. Dies sollte bereits in Großbritannien vom dortigen medizinischen Fachpersonal festgestellt werden. Weiters wäre, nach der Ankunft jeglicher Geflüchteter dieser Art, die AJWS für deren Wohlbefinden verantwortlich. Die australische Regierung übernahm keine Verantwortung dahingehend. Wohl auch deshalb, da sie in erster Linie keine jüdischen Kinder aufnehmen wollte.[51] 1943 wurde es der AJWS gestatten 150 Kinder aus Vichy Frankreich, welche sich in der Obhut der katholischen Kirche befanden nach Australien zu bringen und dort für sie zu sorgen. Erneut sollten sie zunächst in Großbritannien darauf untersucht werden, ob sie den Einreisekriterien entsprachen. Die Spur scheint sich daraufhin zu verlieren und der Historiker Paul Bartrop geht davon aus, dass diese Kinder Australien nie erreichten. 1944 suchte die AJWS erneut darum an 150 jüdische Kinder, diesmal aus der Schweiz, nach Australien zu bringen. Auch dieses Vorhaben führte aufgrund der Vorgaben der australischen Regierung ins Leere.[52] In der Presse finden sich zu einem ähnlichen Thema ein Bericht, welcher kurz vor Kriegsbeginn im Juli 1939 in The Age erschien. Hierbei wird erwähnt, dass unter den aus Europa geflüchteten Kindern sich auch einige jüdische befinden. Es wird darauf verwiesen, dass sich die AJWS sich sofort um sie kümmerte.[53] Die spricht dafür, dass es in der Bevölkerung durchaus bekannt war und sogar erwartet wurde, dass sich die AJWS um jüdische Geflüchtete zu kümmern hatte.
Ein anderes interessantes Beispiel ereignete sich im Jahr 1941, als es 72 polnischen Jüdinnen und Juden erlaubt wurde von Japan nach Australien einzureisen und dort bis zum Ende des Krieges zu verbleiben. Sie wurden von der AJWS in Carlton in Empfang genommen. Bartrop verweist in seinem Text darauf, dass The Age über diesen Umstand berichtete, ohne dabei explizit den Aspekt, dass sie jüdisch waren zu erwähnen. Stattdessen wurde verstärkt darauf Wert gelegt, dass es sich hierbei um polnische Geflüchtete handelte. Wobei der Fakt, dass sie von der AJWS, in dessen Zuständigkeitsbereich sie fallen würden, dafür sprach, dass sie jüdisch waren.[54] Dennoch sprach die man in The Age ausschließlich über ihre polnische Identität und über ihre Bildung.[55] Dies lässt sich vermutlich dadurch erklären, dass man polnischen Geflüchteten, deren Heimat zweier Invasionen zum Opfer fiel und deren Land mit Großbritannien verbündet war, wohlgesinnter war als jenen, welche aus einem verfeindeten Land stammten. Es zeigt sich, dass der „enemy aliens“ Status als ultimative Kategorie gehandhabt wurde.
1943 war die AJWS an der Gründung zweier internationaler Organisationen beteiligt, welche das Ziel hatten europäische jüdische Personen zu unterstützen.[56] Zum einem wurde der United Jewish Overseas Relief Fund in Sydney gegründet und zum anderem das United Jewish Emergency Committee in Melbourne. Dies geschah aufgrund der Anerkennung des Massakers an polnischen Juden durch nationalsozialistische Kräfte in Polen am 17. Dezember 1942.[57]
Hieraus geht hervor, dass die AJWS zwar durchwegs gewillt war eine große Anzahl an jüdischen Personen nach Australien zu bringen, dies aber nur durch eine vorherige Bestätigung von Seiten der australischen Regierung ermöglicht wurde. Diese war mehr darauf bedacht Vorhaben wie die „White Australia Policy“ einzuhalten und umzusetzen. Da eine Art des Rassismus weiterhin stark in der Bevölkerung verbreitet war, kam ihnen die AJWS als Verantwortungsträger für Geflüchtete gelegen. Man konnte die finanzielle Verantwortung für die begrenzte Anzahl an Personen, welchen man die Einreise erlaubte, auf die AJWS abgeben, womit keine Steuergelder für diese Personen ausgegeben wurden, welche in der Bevölkerung entweder, aufgrund ihrer Herkunft, als ungewollt oder gar als „enemy aliens“ angesehen wurden. Aus einem Artikel von The Age gegen Ende 1938 geht hervor, dass bereits in der öffentlichen Wahrnehmung diese Arbeitsteilung zwischen AJWS und anderen australischen Hilfsorganisationen vollzogen war. Es gilt hier zu erwähnen, dass keine dieser Organisationen von der jeweiligen australischen Regierung gegründet wurde. So auch nicht die AJWS, welche sich der Unterstützung und Integration jüdischer Geflüchteter annahm.[58] Insgesamt blieben die internationalen Tätigkeiten und Bemühungen der AJWS durch die internationalen politischen Umstände stark begrenzt. Die Vorstellung herrschte, dass jüdische Personen in Europa ohnehin gerettet werden würden, wenn die Alliierten den Krieg erst mal gewonnen hatten. Als Mitglied dieser Fraktion, stellte sich Australien vollkommen hinter dieses Ziel.[59] Dies wurde auch als Begründung angenommen, weshalb man primär „nützliche“ Geflüchtete aufnehmen wollte. Eine nennenswerte Ausnahme stellten Kinder dar, von welchen man sich erhoffte diese besser zu „richtigen“ Australiern umerziehen zu können als Erwachsene. Erst nach dem Ende des Krieges wurde, unter anderem durch die Aufhebung des „enemy aliens“ Status, die Einreise erleichtert. Sie wurden später als „friendly aliens“ definiert. Insgesamt sollten von 1933 bis 1945 in etwa 8200 jüdische Personen durch diverse Fluchtwege Australien erreichen.[60]
4. Der Fall der HMT Dunera
Die Reise der HMT[61] Dunera und die Umstände, die hierbei herrschten, sind bis heute gut im Gedächtnis der australischen Bevölkerung verankert. Es handelte sich hierbei um ein britisches Militärschiff, welches üblicherweise für den Transport von Truppen benutzt wurde. Hier wurden an Stelle von Soldaten Personen, welche als „enemy aliens“ klassifiziert wurden transportiert.[62] Die Ereignisse und die Publikationen darüber, in Verbindung mit dem Transport und der betroffenen Passagiere, sollen hier exemplarisch aufgeführt werden. Hierbei soll ein Vergleich zu den vorhin genannten, medial weniger bedeutenden Ereignissen, geschaffen werden. Da sich unter den Passagieren auch einige Jüdinnen und Juden befanden, wird hier auch die allgemeine Rezeption dieser Personen in den australischen Medien aufgearbeitet. Aus zeitgenössischer Sicht handelte es sich bei den Passagieren nicht um Migrant:innen oder Geflüchtete, sondern um Kriegsgefangene, welche man von Großbritannien übernahm.[63]Die Übernahme dieser Gefangenen wurde als notwendige Leistung gegenüber dem Mutterland angesehen, während die Aufnahme von Geflüchteten mehr lästig wahrgenommen wurde. In der Presse wurde das Schicksal der Betroffenen Passagiere weniger stark aufgegriffen, es zuvor kam zu mehreren Machtmissbrauchen des zuständigen Wachpersonals gegenüber den Passagieren. Unter ihnen befanden sich nicht nur „enemy aliens“ welche tatsächliche NS-Sympathisant:innen waren, sondern auch eine Vielzahl jüdischer Geflüchteter, welche unter der Definition der australischen Regierung ebenfalls als Feinde aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft angesehen waren. Als solches wurden sie dem Zuständigkeitsbereich der AJWS entzogen und nach ihrer Landung am 06. September 1940 interniert.[64] Von den beiden hier behandelten Zeitungen beschäftige sich lediglich The Age in zwei kurzen Meldungen mit dem Fall. Im Artikel vom 30.06.1938 mit dem Titel „MAJOR REPRIMANDED“ wird darauf verwiesen, dass es zu einem kriegsgerichtlichen Verfahren gegen Major Charles Albert Bowles kam.[65] In anderen wurde darüber berichtet, dass er zwar zurechtgewiesen wurde, aber schlussendlich freigesprochen wurde.[66] Es lassen sich in den beiden Medien keine ausführlichen Berichte zu den Passagieren finden und sie werden lediglich als „Internierte“ beschrieben. Es gibt weder ein Verweis auf deren Staatsbürgerschaft noch auf ihre mögliche Zuordnung nach rassistischen Kriterien. Sie werden einfach als „enemy aliens“ beschrieben und somit dem Zuständigkeitsbereich des Staates überlassen, dessen Rolle hierbei weder kritisiert noch näher ausgeführt wird.

5. Weitere Entwicklung der AJWS
Im weiteren Verlauf des Krieges führte die AJWS weitgehend ihre Tätigkeiten im größten Rahmen unverändert fort. Im Jahr 1944 genehmigte die neuseeländische Regierung die Einreise von 700 polnischen Kindern, welche vor dem Krieg geflüchtet waren. Dies setze die australische Regierung, deren Land in jeder Hinsicht größer war, unter Druck. Australien zeigte sich deutlich streng und restriktiv bei der Aufnahme Geflüchteter Personen, unter dem Vorwand, dass man nicht mehr tun könnte. Diese Information wurde vor der AJWS geheim gehalten.[67] Womöglich wurde befürchtet, dass diese Information international als Druckmittel gegen die Vorgehensweise der australischen Regierung eingesetzt werden könnte. Stattdessen entschied man sich dazu weiterhin das Narrativ, dass man schon das Möglichste tun würde bis zum Ende des Krieges fortgesetzt. Auch in der Presse finden sich keine Meldungen zu den Taten der neuseeländischen Regierung.
Nach 1945 kam es zu einem enormen Anstieg an Geflüchteten, welche nach Australien reisten. Nach Aufhebung des „enemy aliens“ Status wurde die Einreise massiv erleichtert. Diese wurde in den Nachkriegsjahren tausenden jüdischen Personen gewährt. Hierbei übernahm die AJWS weiterhin diverse anfallende Kosten, wie beispielsweise jene der Überfahrt.[68] Sie übte diese Funktionen weiter aus, bis sie 2001 in einer Zusammenführung mit den Organisationen Montefiore Homes und diverser lokaler jüdischer Wohltätigkeitsorganisationen im Dachverband „Jewish Care“ aufging. In diesem Kontext besteht die Organisation bis heute und bietet diverse wohltätige Dienste wie beispielsweise Altenpflege an.[69]
6. Conclusio
Gerade in Bezug auf innenpolitische beziehungsweise inneraustralische Vorgänge zeigt sich eine relativ neutrale Berichterstattung. Sydney Morning Herald, aber auch The Age beschränken sich auf die Darstellung der Tätigkeiten, ohne jedoch deren Arbeit zu kritisieren. Die Ausbildung am Bauernhof weckte bei den Zeitungen Interesse, weswegen sich diesbezüglich einige Artikel finden lassen, deren Inhalt jedoch nie negativ oder ablehnend ausfällt. Kritische Stimmen gegenüber jüdischen Geflüchteten werden im Kontext von Gegenstimmen dargestellt und richten sich nie gegen die AJWS, wie am Beispiel von Graham Pratten ersichtlich war. Zu beachten bleibt hierbei, dass beide Zeitungen dem liberalen Bereich der zeitgenössischen Medienlandschaft Australiens zugeordnet werden können. Somit kann lediglich darauf geschlossen werden, dass die Bevölkerung im breitesten Sinne den Tätigkeiten der AJWS neutral bis akzeptierend gegenüberstand. Auch das Bemühen der Welfare Society, das Ansehen der jüdischen Gemeinden in Australien nicht zu beschädigen, wird in den Zeitungen immer wieder aufgegriffen. Auch in außenpolitischen Fragen zeigt sich in der Presse ein Bild der Selbstverständlichkeit gegenüber der Welfare Society. Die AJWS sei für jüdische Geflüchtete verantwortlich. Im Vergleich zu der Berichterstattung zu Fällen wie der HMT Dunera ist es auffallend, dass die Welfare Society mit ihrem Ziel nicht aufzufallen und die australische Bevölkerung nicht mit der Aufnahme einer großen Anzahl an jüdischen Personen zu überfordern, Erfolg hatte. Über ihre internationalen Bemühungen mehr Personen nach Australien zu bringen, dürfte in der allgemeinen populären Presse kaum berichtet worden sein. Durchwegs war die Stellung, welche die australische Regierung einnahm, von Narrativen geprägt, welche darauf verwiesen, dass Australien schlicht an die Grenzen des logistisch möglichen stoßen würde. Man könnte nicht mehr Geflüchtete aufnehmen, aus Angst, sie würden sich nicht genügend integrieren oder Australiern die Arbeit wegnehmen. Die AJWS arbeitete unter diesen Rahmenbedingungen ihr Möglichstes heraus. Sie erfüllte genau jene Funktion, welche von ihr erwartet wurde. Als eine Organisation, welche von jüdischen Gemeinschaften in Australien gegründet wurde, um jüdischen Personen, welche aus Europa flüchteten zu unterstützen. Spätere Entwicklungen wie der Fall der HMT Dunera, welche eine große Anzahl an jüdischen Personen transportierte oder etwa der Willen die Alliierten zu unterstützen, um auch der jüdischen Bevölkerung in Europa zu helfen, deuten darauf hin, dass die AJWS für die breite Bevölkerung genau jene Rolle erfüllte, welche man von ihr erwartete. Die Passagiere der HMT Dunera wurden als „enemy aliens“ klassifiziert und fielen durch diesen Status in den Verantwortungsbereich des Staates, während die Einreise jüdischer Personen, welche vor dem Terror des Nationalsozialismus flohen, durch die AJWS finanziert und organisiert wurde. Da die AJWS als selbstständige Organisation, welche von den jüdischen Gemeinden und nicht vom Staat finanziert wurde, die Aufgaben der Versorgung und Integration dieser Personen erfüllte, fielen diese dem Staat nicht zur Last, wodurch sie von der allgemeinen Bevölkerung auch breit akzeptiert wurde. Hierin zeigte sich eine gewisse Gleichgültigkeit der nicht-jüdischen australischen Bevölkerung gegenüber den jüdischen Geflüchteten aus Europa, bis hin zu einer stillen Akzeptanz. Im Vordergrund stand ein Pflichtbewusstsein dem gegenüber Großbritannien und ein Fokus darauf siegreich aus dem Krieg hervorzugehen. Die AJWS entstand aus einer Notwendigkeit und einem internationalen solidarischen Willen heraus jüdische Personen zu unterstützen, auch wenn Staaten und Regierungen sich nicht mit diesen Umständen beschäftigten konnten oder wollten.
[1] Vgl. Paul R. Bartrop, The Holocaust and Australia: Refugees, Rejection, and Memory (London: Bloomsbury Academic, 2022), 105–9.
[2] Vgl. Philipp Mayring, Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen Und Techniken, 13th ed. (Weinheim, Basel, Grünwald: Beltz; Preselect.media GmbH, 2022), 23.
[3] Die HMT Dunera war ein britisches Passagierschiff, das neben seinem Einsatz als Truppentransporter im Zweiten Weltkrieg vor allem durch die Geschichte der „Dunera Boys“, auf die in Kapitel 4 eingegangen wird, bekannt ist.
[4] “Trove,” accessed February 25, 2025, https://trove.nla.gov.au/.
[5] Philipp Strobl, “Die Flüchtlingskrise Der 1930er Jahre in Australischen Tageszeitungen,” in Strobl, Die Flüchtlingskrise Der 1930er Jahre in Australischen Tageszeitungen, 8–9.
[6] Suzanne Rutland and S.O.L. Encel, “Three “Rich Uncles in America”: The Australian Immigration Project and American Jewry,” American Jewish history 95 (2009): 89; RUTLAND, SUZANNE D; ENCEL, S. O.L., https://doi.org/10.1353/ajh.0.0118.
[7] Adam Augustyn, “The Sydney Morning Herald: Australian Newspaper,” Britannica, accessed February 25, 2025, https://www.britannica.com/topic/The-Sydney-Morning-Herald.
[8] Mathias Grünfelder, Alexander Krapf, and Pia Penz, “Der Flüchtlingsdiskurs in Der Australischen Presse,” in Strobl, Die Flüchtlingskrise Der 1930er Jahre in Australischen Tageszeitungen, 45.
[9] Adam Augustyn, “The Age: Australian Newspaper,” Britannica, accessed February 25, 2025, https://www.britannica.com/topic/The-Age.
[10] Sybil Nolan, Half a Century of Obscurity: The Age, 1908-1964 (Australia Media Traditions Conference, 2001), 1–2.
[11] Bartrop, The Holocaust and Australia, 173–74.
[12] Suzanne Rutland, The Jews in Australia (Cambridge, New York: Cambridge University Press, 2005), 56–57.
[13] Philipp Strobl, “Collective Refugee Agency and the Negotiation of Migration Laws in Wartime Australia: 1939–1943,” The Historical Journal, 2025, 6–7.
[14] Rutland, The Jews in Australia, 56–57.
[15] Strobl, “Collective Refugee Agency and the Negotiation of Migration Laws in Wartime Australia,” 6–7.
[16] Die Festlegung, wer als „britisch“ galt, war sozial konstruiert und lässt sich nicht auf alle Bürger:innen des British Empire übertragen. Vgl. Strobl, “Collective Refugee Agency and the Negotiation of Migration Laws in Wartime Australia,” 7
[17] Bartrop, The Holocaust and Australia, 107.
[18] Rutland, The Jews in Australia, 62–63.
[19] NA, “Refugees from Austria. Permission to Land: 08.10.1938,” The Sydney Morning Herald, accessed February 27, 2025, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/17526143?searchTerm=Australian%20Jewish%20Welfare%20Society.
[20] NA, “Jews Advice to Refugees. “Go to Country”: 13.05.1939,” The Sydney Morning Herald, accessed February 27, 2025, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/17584779?searchTerm=Australian%20Jewish%20Welfare%20Society.
[21] Bartrop, The Holocaust and Australia, 133.
[22] NA, “Jewish Welfare Society: 01.06.1939,” The Age, accessed February 27, 2025, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/205638930?searchTerm=Australian%20Jewish%20Welfare%20Society.
[23] NA, “Refugee Jews. “Undertakings Not Honoured”: 04.03.1939,” The Sydney Morning Herald, accessed February 27, 2025, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/17573618?searchTerm=Australian%20Jewish%20Welfare%20Society.
[24] Rutland, The Jews in Australia, 62–63 und NA, “Aid for Jewish Refugees: 29.11.1938,” The Age, accessed February 27, 2025, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/205207773?searchTerm=Australian%20Jewish%20Welfare%20Society.
[25] NA, “Jews from Germany. Special Liner: 02.11.1938,” The Sydney Morning Herald, accessed February 27, 2025, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/17533600?searchTerm=Australian%20Jewish%20Welfare%20Society.
[26] NA, “Training Jewish Migrants. Welfare Society´s Scheme: 10.01.1939,” The Sydney Morning Herald, accessed February 27, 2025, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/17544568?searchTerm=Australian%20Jewish%20Welfare%20Society.
[27] NA, “Jewish Migrants. Report of King´s Cross “Colony” Denied: 15.06.1939,” The Sydney Morning Herald, accessed February 27, 2025, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/17614432?searchTerm=Australian%20Jewish%20Welfare%20Society.
[28] NA, “Refugees on Farm. Happy Outlook: 16.03.1939,” The Sydney Morning Herald, accessed February 27, 2025, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/17568906?searchTerm=Australian%20Jewish%20Welfare%20Society.
[29] NA, “Home Provided for 17 Children: 25.07.1939,” The Sydney Morning Herald, accessed February 27, 2025, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/17596998?searchTerm=Australian%20Jewish%20Welfare%20Society.
[30] NA, “Extravagant Language. Premiers Crticism: 10.05.1939,” The Sydney Morning Herald, accessed February 27, 2025, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/17580715?searchTerm=Australian%20Jewish%20Welfare%20Society Und NA, “Jewish Migrants and Citizenship.Welfare Society´s Defence: 10.05.1939,” The Age, accessed February 27, 2025, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/205638400?searchTerm=Australian%20Jewish%20Welfare%20Society.
[31] NA, “”Good Type of Jew”: 11.05.1939,” The Age, accessed February 27, 2025, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/205629086?searchTerm=Australian%20Jewish%20Welfare%20Society.
[32] NA, “Jewish Migrants. Report of King´s Cross “Colony” Denied: 15.06.1939,” The Sydney Morning Herald, accessed February 27, 2025, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/17614432?searchTerm=Australian%20Jewish%20Welfare%20Society.
[33] NA, “Defence of Refugees: 27.08.1943,” The Sydney Morning Herald, accessed February 27, 2025, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/17861949?searchTerm=Australian%20Jewish%20Welfare%20Society.
[34] NA, “Influx of Jews. Stricter Control Urged: 09.11.1938,” The Sydney Morning Herald, accessed February 27, 2025, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/17535811?searchTerm=Australian%20Jewish%20Welfare%20Society.
[35] Bartrop, The Holocaust and Australia, 133.
[36] NA, “Nazis Posing as Refugees? 13.05.1939,” The Age, accessed February 27, 2025, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/205621947?searchTerm=Australian%20Jewish%20Welfare%20Society.
[37] Vgl. Philipp Strobl, The „Undesirables“: Austrian Refugees from National Socialism in Australia – A History of Displaced Knowledge. (Stiftung Universität Hildesheim: Fachbereich 1. Erziehungs- & Sozialiwissenschaften, 27.01.2022), 39.
[38] Bartrop. The Holocaust and Australia. 2022, 159.
[39] Rutland, Suzanne. “JEWISH MIGRATION TO NEW SOUTH WALES 1919-1939.” Australian Jewish Historical Society Journal and Proceedings Vol. VII, Part 5 (1973): 341 f.
[40] NA. “REFUGEES IN EUROPE – MIGRATION PLAN – Australia can not do more.” The Sydney Morning Herald, 09.07.1938, 17, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/17478946?browse=ndp%3Abrowse%2Ftitle%2FS%2Ftitle%2F35%2F1938%2F07%2F09%2Fpage%2F1179482%2Farticle%2F17478946 am 27.02.2025 18:15
[41] NA. “DEFINING MOMENTS – White Australia policy.” National Museum Australia, veröffentlicht am 16.05.2023, unter https://www.nma.gov.au/defining-moments/resources/white-australia-policy
[42] NA. “REVIVING BRITISH MIGRATION” The Sydney Morning Herald, 11.01.1938, 10, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/17427935?browse=ndp%3Abrowse%2Ftitle%2FS%2Ftitle%2F35%2F1938%2F01%2F11%2Fpage%2F1184194%2Farticle%2F17427935.
[43] Gregoire, Paul. “The White Australia Policy Part 1: Constructing Fortress Australia.” Veröffentlicht am 02.12.2020, https://www.mondaq.com/australia/constitutional-administrative-law/1011066/the-white-australia-policy-part-1-constructing-fortress-australia.
[44] NA. “AUSTRALIA IS THE STAKE.” The Syndey Morning Herald, 09.12.1941, 7, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/17777786?browse=ndp%3Abrowse%2Ftitle%2FS%2Ftitle%2F35%2F1941%2F12%2F09%2Fpage%2F1106339%2Farticle%2F17777786.
[45] NA. “Preventing Growth of Colonies: Welfare Society´s Efforts.” The Sydney Morning Herald, 11.02.1939, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/27975173?searchTerm=growth%20of%20colonies.
[46] NA. „Enemy Aliens.” Australian War Memorial, Veröffentlich am 19.01.2021, https://www.awm.gov.au/learn/schools/resources/anzac-diversity/european-anzacs/enemy-aliens
[47] NA. “AUSTRALIA AND THE EUROPEAN THEATRES OF WAR – INTERNMENT ON THE SS DUNERA.” The Holocaust – The Nazi Genocide against the Jewish People, Veröffentlicht am ND, https://holocaust.com.au/australia-and-the-european-theatres-of-war/
[48] Bartrop, The Holocaust and Australia, 162.
[49] NA. “Jews from Germany: Special Liner.” The Sydney Morning Herald, 02.11.1938, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/17533600?searchTerm=Australian%20Jewish%20Welfare%20Society.
[50] Rutland. “JEWISH MIGRATION TO NEW SOUTH WALES 1919-1939”, 342.
[51] Bartrop. The Holocaust and Australia, 162 f.
[52] Bartrop. The Holocaust and Australia, 163 -164.
[53]NA. “MANY MIGRANTS ON LINER – Youth From Three Capital Cities.” The Sydney Morning Herald, 24.07.1939, 12, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/204937539?searchTerm=australian%20jewish%20welfare%20society.
[54] Bartrop. The Holocaust and Australia, 163.
[55] NA. “FLIGHT OUT OF POLAND.” The Syndey Morning Herald, Veröffentlicht am 14.08.1941, S. 6, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/205177120?searchTerm=polish%20refugees%20japan.
[56] NA. “Historical Timeline of Jewish Care.” Jewish Care, Veröffentlicht am 28.02.2025, https://www.jewishcare.org.au/about/historical-timeline-of-jewish-care.
[57] NA, AUSTRALIA AND THE EUROPEAN THEATRES OF WAR
[58] NA. “Aid for Jewish Refugees.” The Age, Veröffentlicht am 29. Nov. 1938, 4, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/205207773?searchTerm=australian%20jewish%20welfare%20society.
[59] Bartrop. The Holocaust and Australia, 166.
[60] NA. “Australia, Jewish Refugees in.” Yad Vashem, Shoah Research Centre, The International School For Holocaust Studies, S. 1-2,https://www.yadvashem.org/odot_pdf/Microsoft%20Word%20-%205787.pdf.
[61] Hired Military Transport
[62] NA. “DEFINING MOMENTS – DUNERA BOYS.” National Museum Australia, Veröffentlicht am 28.09.2022, https://www.nma.gov.au/defining-moments/resources/dunera-boys.
[63] Bartrop. The Holocaust and Australia, 160 f.
[64] NA. “DEFINING MOMENTS – DUNERA BOYS.” National Museum Australia, Veröffentlicht am 28.09.2022, https://www.nma.gov.au/defining-moments/resources/dunera-boys.
[65] NA. “Complaints by Internees.” The Age, 22.05.1941, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/205161825?searchTerm=Dunera.
[66] NA. “MAJOR REPRIMANDED” The Age, 30.06.1941, https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/205155173?searchTerm=Dunera.
[67] Bartrop. The Holocaust and Australia, 166 f.
[68] G.S. Lee. “Fifty years of caring. The history of the Jewish Welfare Society 1936-1986.” Australian Jewish Historical Society Journal, 10, 5 (1989). 446 – 449.
[69] NA. Historical Timeline of Jewish Care.
