Flucht, Migration und mediale Diskurse in Australien der 1930er Jahre: Zur Konstruktion von Fremdheit, Zugehörigkeit und nationaler Identität in der Presse
Philipp Strobl

Einleitung
Die Beschäftigung mit Migration und Flucht zählt aktuell zu den zentralen Anliegen der Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaften. Gesellschaftliche Transformationsprozesse durch Migration, begleitet von öffentlichen Diskursen, sind keineswegs ausschließlich Phänomene der Gegenwart, sondern weisen eine lange, vielschichtige Traditionslinie auf, wie zahlreiche Studien zu historischen Migrationsbewegungen, gesellschaftlichen Reaktionen sowie zu Prozessen der „Othering“-Konstruktion zeigen.[1]
Dieser umfangreiche Sammelblogbeitrag rückt die mediale Rezeption von Flüchtlingsdiskursen in australischen Zeitungen der 1930er Jahre in den Fokus. Damit trägt er dazu bei, eine Leerstelle im aktuellen Forschungsstand, der bislang stark west- und zentraleuropäisch geprägt ist, weiter zu erhellen.[2] Die Beiträge beleuchten, wie die australische Öffentlichkeit – vermittelt durch die zeitgenössische Presse – auf globale Fluchtbewegungen, insbesondere auf die Emigration von Jüdinnen und Juden und anderen Verfolgten aus dem nationalsozialistischen Herrschaftsbereich, reagierte.
Die 1930er Jahre lassen sich weltweit als ein Jahrzehnt politischer Krisen, nationalstaatlicher Abschottungen und tiefgreifender sozialer Polarisierungen charakterisieren.[3] Mit dem nationalsozialistischen Machtantritt 1933 in Deutschland und dem weiteren Ausgreifen des totalitären Regimes in Mitteleuropa verschärfte sich die Lage für zahlreiche Minderheiten dramatisch, was zu massiven Fluchtbewegungen führte.[4] Während Europa vor der Herausforderung einer wachsenden Zahl an Geflüchteten stand und die internationale Staatengemeinschaft infolge der Konferenz von Evian im Sommer 1938 ihre Unwilligkeit zur Aufnahme politisch und moralisch manifestierte,[5]positionierte sich Australien in diesem Kontext als ein Beispiel besonders restriktiver immigrationspolitischer Praxis – geprägt von der „White Australia Policy“, rassistischen Diskursen und der Betonung britisch-imperialer Identität.[6]
Besonders die mediale Verhandlung dieser Thematik ist für das historische Verständnis zentral: Zeitungen fungierten in einer Epoche begrenzter audiovisueller Kommunikationsmöglichkeiten als Leitmedien, deren Berichterstattung maßgeblich zur Herausbildung gesellschaftlicher Diskurse beitrug. Durch Sprache, Bilder, Metaphern und Argumentationsmuster wurden bestimmte Narrative erzeugt, verstetigt und legitimiert.[7] Prägende Begrifflichkeiten wie die semantisch aufgeladene Metapher von „Flüchtlingsströmen“, der Verweis auf eine drohende „Überfremdung“ oder auf eine angebliche Überbelastung der Sozialsysteme sind keine Erfindungen der Gegenwart, sondern finden sich bereits in den Quellen der 1930er Jahre.[8]
Wie aus aktuellen Migrations- und Medienforschungen hervorgeht, können solche Darstellungsweisen maßgeblich dazu beitragen, Ängste, Ressentiments, aber auch Empathie oder Solidarität in der Aufnahmegesellschaft zu befördern oder zu verhindern.[9]
Der historische Vergleich offenbart, dass die Grenzziehung zwischen „wir“ und „die anderen“ – also die Konstruktion von In- und Outgroup – häufig durch mediale Berichterstattung reproduziert und institutionalisiert wurde.[10]
Australien war nach dem Ersten Weltkrieg und verstärkt in den 1930er Jahren bemüht, eine vermeintlich homogene Gesellschaft britischer Prägung zu erhalten („White Australia Policy“), wobei „Nicht-Briten“ und insbesondere jüdische Flüchtlinge häufig als „Bedrohung“ dargestellt wurden.[11] In Pressekampagnen und politischen Reden wurde suggeriert, dass bereits geringe Kontingente Geflüchteter das fragile soziale Gleichgewicht bedrohten. In der Folge entstand die Rhetorik einer drohenden „Überfremdung“, die exkludierende und diskriminierende Praktiken rechtfertigte. Erst die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und der Bedrohung durch die Japanische Armee führten zu einer schrittweisen Revision dieser Haltung und leiteten schließlich eine Ära verstärkter Immigration (und Integration) von Displaced Persons ab 1947 ein, was in der Formel „populate or perish“ zum Ausdruck kam.[12] Welche Dynamik und vor allem Willkür diese unterschiedlichen Identitätspolitiken entwickeln konnten, wird am Wandel der Argumentationsmuster sichtbar: Die homogene, „britische“ Nation wurde erst als schützenswertes Ideal verklärt, wenig später aber zur pragmatischen Erweiterung freigegeben.
Die Beiträge dieses Sammelblogbeitrages gehen solchen Fragen empirisch und theoretisch nach: Über die systematische Auswertung einschlägiger australischer Presseerzeugnisse der späten 1930er Jahre, darunter „The Sydney Morning Herald“, „The Age“, „The Argus“ oder „The Advocate“, analysieren die Autor:innen aus diskursanalytischer Perspektive, wie Geflüchtete dargestellt, kategorisiert und gesellschaftlichen Gruppen gegenübergestellt wurden. Dabei werden sowohl argumentative Topoi (z.B. ökonomische Belastung, Bedrohung der kulturellen Homogenität, Humanitätsappelle) als auch visuelle Inszenierungen und framing-praktiken vergleichend erschlossen. Ebenso werden Formen der Skandalisierung, Moralisierung und Normalisierung von Migration untersucht.
Zugleich wird den vielfältigen Fluchtursachen nachgegangen, denen Menschen aus dem deutschen Machtbereich ausgesetzt waren. Neben antisemitischer Verfolgung traten die Entrechtung und Vertreibung von Sinti:zze und Rom:nja, politischer Gegner:innen des Nationalsozialismus, Homosexueller, Menschen mit Behinderungen und weiteren als „nicht-integrierbar“ deklarierten Gruppen. Die Flüchtlingskrise der späten 1930er Jahre war nicht nur zahlenmäßig, sondern auch hinsichtlich der Vielfältigkeit der Betroffenengruppen bedeutend.[13] Die neue Dimension des Flüchtlingsbegriffs, die sich – befördert durch internationale Organisationen – mit dem Nansen-Pass und ersten Schutzsystemen im Völkerbund verband, wurde von australischen Medien meist selektiv und im Kontext nationaler Interessen rezipiert.[14]
Im Mittelpunkt der Analysen der Beiträge dieses Sammelblogbeitrages steht die Frage, wie sich die gesellschaftlichen Einstellungen gegenüber Flüchtlingen zwischen Exklusion, vorsichtiger Solidarität und offener Ablehnung bewegten. Untersucht werden Diskursverschiebungen, rhetorische Strategien und die selektive Aneignung internationaler Entwicklungen. Darüber hinaus wird das Verhältnis von Politik, Presse und Öffentlichkeit beleuchtet: Inwieweit wurde politische Exklusion (z.B. restriktive Visapolitik und Quotensysteme) durch die Medien multipliziert oder kritisch reflektiert? Welche Handlungsspielräume boten sie jenen, die für humanitäre Verbesserungen plädierten? Welche Argumentationsmuster setzten sich dauerhaft durch und welche verblassten nach dem politischen Paradigmenwechsel im und nach dem Zweiten Weltkrieg?
Dabei verstehen sich die vorliegenden Beiträge als Anstoß zu einer offenen, multiperspektivischen Geschichtsschreibung. Ihre Zielsetzung ist es, exemplarisch aufzuzeigen, wie eng historische und gegenwärtige Flüchtlingsdebatten miteinander verwoben sind und wie wichtig die langfristige, kritisch-reflektierende Analyse medialer Konstruktionen für das Verständnis gegenwärtiger politischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen ist. Die Überzeugung, dass gesellschaftliche Einstellungen und Migrationsregime historisch kontingent, wandelbar und an spezifische Diskurse gebunden sind, zieht sich dabei als roter Faden durch die Analysen.[15]
Diese Kontextualisierung macht deutlich, dass mediale Flüchtlingsdiskurse im Australien der 1930er Jahre nicht lediglich als Reaktion auf „externe“ Entwicklungen zu verstehen sind, sondern stets Ausdruck nationaler Identitätsbildung, politischer Interessen und internationaler Verflechtungen waren – Aspekte, die bis heute nachhallen.
Entstanden ist dieser Sammelblogbeitrag als Ergebnis eines Methodenkurses am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Im Sinne eines studierendenzentriertem Lernen und Lehrens (SZL)[16], arbeiteten alle Beteiligten nach einer kurzen thematischen Einschulung direkt mit den historischen Originalquellen. Alle Arbeiten wurden von zwei Studierenden gemeinsam recherchiert und verfasst und im Rahmen mehrerer Präsentationen diskutiert und verfeinert. Sämtliche verwendeten Zeitungsberichte waren über die Zeitungsvolltextsuchmaschine „trove“ der australischen Nationalbibliothek abrufbar und über eine Volltextsuchfunktion erschlossen.
Im Rahmen des vorliegenden Lehrprojekts sind insgesamt neun Blogbeiträge entstanden, die sich unterschiedlichen Aspekten medialer Diskurse in Australien während der späten 1930er und frühen 1940er Jahre widmen.
Die mediale Darstellung des Attentats von Herschel Grynszpan auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath, das von den Nationalsozialisten als Ausgangspunkt für die Pogrome im November 1938 instrumentalisiert wurde, steht im Mittelpunkt der Analyse von Carla Vordermayer und Klara Mosr. Diana Röthlinger und Olivia Schlatzer nehmen die Rezeption geflüchteter deutschsprachiger Frauen in der australischen Presse der Jahre 1938/39 in den Blick. Sie zeigen auf, dass die mediale Perspektive auf geflüchtete Frauen in einem deutlichen Gegensatz zur in der Forschung herausgearbeiteten negativen medialen Rezeption sowie zur ablehnenden gesellschaftlichen Einstellung gegenüber deutschsprachigen Geflüchteten in den späten 1930er Jahren steht.
Peter Gerhalter und Josef Gruber analysieren die mediale Berichterstattung zur Einreise des jüdischen Kommunisten und Journalisten Egon Erwin Kisch nach Australien, der bei seiner Ankunft zu einem internationalen Kongress mit der Aberkennung seines Aufenthaltstitels für Australien konfrontiert wurde. Pia Grubesic und Maria Luise Winkler untersuchen den Wandel des Begriffs „enemy alien“ (feindlicher Ausländer) anhand von Leserbriefen in der Tageszeitung Sydney Morning Herald aus den Jahren 1939 bis 1943. Agnes Hammerschmied und Johanna Salomon-Petschnigg setzen sich mit dem medialen Diskurs zur Aufnahme europäischer Flüchtlingskinder an australischen Schulen auseinander und werten hierfür Zeitungsberichte aus den Jahren 1938 bis 1942 aus.
Im Beitrag von Maximilian Langbrugger und Jonas Steinmetz steht die kontroverse Diskussion um die Arbeit der Australian Jewish Welfare Society im Zentrum, der wichtigsten jüdischen Wohltätigkeitsorganisation Australiens hinsichtlich der Betreuung geflüchteter jüdischer Menschen aus Europa. Analysiert werden diesbezügliche Beiträge in den Zeitungen The Age und The Sydney Morning Herald im Zeitraum von 1938 bis 1943. Mathias Weiß und Bastian Langthaler fokussieren in ihrer Untersuchung auf die Berichterstattung über die Évian-Konferenz im Sommer 1938 sowie auf deren Auswirkungen auf die australische Einwanderungspolitik.
Anna-Maria Schierhuber und Thomas Leitner widmen sich der Darstellung jüdischer Migration nach Australien in der Tageszeitung The Daily Telegraph im Zeitraum von 1938 bis 1939. Den Abschluss bildet der Beitrag von Denise Ponholzer und Daniela Singer, die die mediale Repräsentation unbegleiteter minderjähriger europäischer Migrant:innen in den Zeitungen The Daily Telegraph und The Sydney Morning Herald analysieren.
Im Folgenden finden Sie die Abstracts und Links zu den Texten.
Die Australienreise des Journalisten Egon Erwin Kisch 1934/1935 im Spiegel der australischen Presse
Peter Gerhalter, Josef Gruber
Abstract
In diesem Bericht analysieren wir die Darstellung der Australienreise 1934/35 von Egon Erwin Kisch in der australischen Presse als Reporter, als Kommunist und als Jude. Kisch reiste nach Australien, um an einer Veranstaltung des kommunistisch ausgerichteten „All-Australien Congress Against War and Fascism“, 1934/35 teilzunehmen. Da er zu diesem Zeitpunkt schon als Journalist populär war und sich auch als bekennender Kommunist und Antifaschist einen Namen gemacht hatte, wurde seine Einreise in Australien von der australischen Politik sehr kritisch gesehen. Durch eine quellenkritische Inhaltsanalyse von Zeitungsartikeln über Kisch analysieren wir, in welchen Presseartikeln neben seiner kommunistischen Ideologie auch seine jüdische Herkunft thematisiert wurde.
Pia Grubesic, Maria Luise Winkler
Abstract
Diese Studie untersucht die Debatte um den Begriff „enemy aliens“ in Leserbriefen des Sydney Morning Herald zwischen 1939 und 1942/43 im Kontext des Zweiten Weltkriegs. Im Fokus stehen die Argumente für und gegen die Verwendung des Begriffs sowie deren Bedeutung für zeitgenössische Vorstellungen von Loyalität, Sicherheit und Zugehörigkeit. Die Analyse zeigt, wie öffentliche Diskurse in einer von Angst und Misstrauen geprägten Gesellschaft politische, soziale und moralische Spannungen widerspiegelten.
Agnes Hammerschmied, Johanna Salomon-Petschnigg
Abstract
Diese Studie untersucht die Darstellung der schulischen Integration europäischer Flüchtlingskinder in Australien zwischen 1938 und 1942 in den Medien. Anhand einer diskursanalytischen Auswertung von 13 Zeitungsartikeln aus dem digitalen Archiv Trove untersucht dieser kompakte Forschungsartikel die Erwartungen und gesellschaftlichen Werte, die in der zeitgenössischen Berichterstattung über die Aufnahme dieser Kinder vermittelt wurden. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Frage, wie der öffentliche Diskurs in den australischen Medien – von Mainstream-Zeitungen wie The Herald bis hin zu jüdischen Publikationen wie dem Australian Jewish Herald – sprachliche und kulturelle Anpassungsprozesse artikulierte.
Die Analyse zeigt, dass die Aufnahme von Flüchtlingskindern fast durchweg positiv bewertet wurde – allerdings unter der klaren Voraussetzung einer umfassenden Assimilation. Besonderes Augenmerk wurde auf den Erwerb der englischen Sprache als Schlüsselindikator für Integration gelegt. Die Kinder wurden als zukünftige „Australier” dargestellt, wobei erwartet wurde, dass ihre kulturelle Herkunft zugunsten einer idealisierten Form der kulturellen Angleichung in den Hintergrund treten würde. Unterschiede im Assimilationspotenzial – beispielsweise zwischen mitteleuropäischen und südeuropäischen Flüchtlingen – waren deutlich ausgeprägt und führten je nach Herkunft der Kinder zu unterschiedlichen Wahrnehmungsmustern. Darüber hinaus wurde Sprache nicht nur als Kommunikationsmittel, sondern auch als Symbol der kulturellen Zugehörigkeit angesehen. Eine erfolgreiche Integration wurde insbesondere dann anerkannt, wenn Merkmale der Herkunft – insbesondere Sprache und Akzent – vollständig aufgegeben worden waren.
Somit war die öffentliche Debatte über die Integration in Schulen nicht nur Ausdruck der Bildungspolitik, sondern Teil eines umfassenderen nationalen Projekts der Homogenisierung. Die Darstellung der sogenannten „Australisierung” von Kindern in den Medien offenbart ein restriktives Integrationsmodell, das wenig Raum für Vielfalt ließ und stattdessen vollständige kulturelle Konformität forderte. Die Arbeit leistet somit einen Beitrag zur historischen Migrationsforschung, indem sie die schulische Integration als Spiegel sozialer Identitätsverhandlungen sichtbar macht und die Rolle der Medien bei der Konstruktion normativer Vorstellungen von Zugehörigkeit beleuchtet.
Maximilian Langbrugger, Jonas Steinmetz
Abstract
Die Australien Jewish Welfare Society (AJWS) spielte bei der Aufnahme jüdischer Geflüchteter aus Europa währen des Zweiten Weltkriegs eine zentrale Rolle in Australien. Sie agierte jedoch ständig in einem Spannungsfeld zwischen humanitärer Hilfe, Assimilationsforderungen und der Sorge um den Ruf der jüdischen Gemeinden in Australien. Diese Arbeit untersucht die Berichterstattung über die AJWS in den australischen Tageszeitungen The Sydney Morning Herald und The Age zwischen 1938 und 1943. Ziel der Arbeit ist es herauszufinden, welche Themen die beiden Zeitungen in Bezug auf die AJWS aufgriffen und wie diese dargestellt wurden. Die Analyse basiert auf einer qualitativen Inhaltsanalyse, bei der relevante Zeitungsartikel kodiert und thematisch geordnet wurden. Die Arbeit zeigt auf, dass die AJWS trotz schwieriger Rahmenbedingungen eine zentrale Rolle bei der Unterstützung jüdischer Geflüchteter spielte. Die Berichterstattung über die AJWS war in den ausgewählten Zeitungen überwiegend neutral. Die beiden Zeitungen berichten sachlich über die Tätigkeiten der Organisation und sind dem liberalen Bereich der damaligen australischen Medienlandschaft zuzuordnen. Kritische Stimmen gegenüber jüdischen Geflüchteten wurden zwar erwähnt, richten sich jedoch nicht gegen die AJWS selbst. Einzelne Themen wie die Ausbildung der Geflüchteten auf Bauernhöfen fand besonderes Interesse. Aus der Gegenüberstellung der Berichterstattung über die Tätigkeiten der AJWS, welche eine private Hilfsorganisation verkörperte, im Vergleich zu Ereignissen wie dem Fall der HMT Dunera, welcher in der Verantwortung des Staates lag, lassen sich Erkenntnisse über die Funktion der AJWS innerhalb der australischen Gesellschaft während des Zweiten Weltkrieges gewinnen. Die AJWS wurde von jüdischen Gemeinden in Australien geschaffen, um die Versorgung und Integration jener jüdischen Personen zu übernehmen, welche aus Europa flohen, um den australischen Staat nicht mit diesem Umstand zu belasten. Es zeigt sich, dass die AJWS somit jene Funktion erfüllte, welche die australische Bevölkerung und die jeweilige Regierung von ihr erwartete.
Mathias Weiß, Bastian Langthaler
Abstract
In den letzten zehn Jahren ist Migration erneut zu einem der meistdiskutierten Themen in der Politik und in verschiedenen Medien geworden. Die Untersuchung vergangener Migrationsbewegungen und der darauf folgenden Reaktionen und Kontroversen könnte unser Verständnis dafür verbessern, wie Gesellschaften auf sich verändernde Migrationsmuster reagieren. Adolf Hitlers zunehmend brutale Verfolgung der Juden in Deutschland und Österreich Mitte und Ende der 1930er Jahre veranlasste Nationen auf der ganzen Welt, sich zusammenzuschließen und über ihre Bereitschaft zur Aufnahme flüchtender Juden zu beraten. Auf der Évian-Konferenz 1938 mussten die führenden Nationen zu dieser sich abzeichnenden Situation Stellung beziehen. Dieser Artikel analysiert die Berichterstattung der australischen Zeitungen The Age und The Argus nach der Évian-Konferenz. Dazu werden 15 Zeitungsartikel untersucht, um die Frage zu beantworten, wie die beiden Zeitungen die offizielle Haltung Australiens zur jüdischen Einwanderung, die auf der Konferenz von Évian beschlossen wurde, diskutiert haben. Die Ergebnisse deuten auf eine ambivalente Sichtweise hin. Obwohl einige Artikel auf die zunehmend dramatische Situation der Juden in Deutschland und Österreich hinweisen, folgen die meisten Berichte der restriktiven und rassistischen Migrationspolitik Australiens, die weiße britische Staatsangehörige bevorzugt.
Herschel Grynszpans Rezeption in australischen Zeitungen zwischen November 1938 und Februar 1939
Carla Vordermayer, Klara Mosr
Abstract
Diese Arbeit widmet sich der medialen Repräsentation Herschel Grynszpans in australischen Zeitungen zwischen dem 7. November 1938 und dem 28. Februar 1939. Ausgangspunkt ist das Attentat auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath durch Grynszpan, das von der nationalsozialistischen Propaganda instrumentalisiert wurde, um die Novemberpogrome 1938 zu rechtfertigen. Eine qualitative Analyse von 141 australischen Artikeln zeigt zwei Hauptmuster: empathische Berichte, die Grynszpans Verzweiflung thematisieren, und Darstellungen, die ihn als kaltblütigen Täter im Sinne nationalsozialistischer Narrative zeigen. Sprache, Titel und Bildmaterial spielten dabei eine zentrale Rolle. Die Rezeption war insgesamt ambivalent und verdeutlicht den Einfluss medialer Deutungsmuster auf die öffentliche Wahrnehmung historischer Ereignisse.
Diana Röthlinger, Olivia Schlatzer
Abstract
Diese Arbeit untersucht die Medienrezeption deutschsprachiger Flüchtlingsfrauen in australischen Tageszeitungen in den Jahren 1938/39 und hebt hervor, wie das Geschlecht den öffentlichen Diskurs beeinflusste, im Gegensatz zu den männlich geprägten Narrativen, die in früheren Forschungen vorherrschten. Während sich die Forschung bisher weitgehend auf antisemitische und fremdenfeindliche Darstellungen von Flüchtlingen konzentriert hat, argumentiert diese Studie, dass solche Darstellungen die spezifischen Erfahrungen von Frauen nicht berücksichtigen, die oft durch eine andere Brille betrachtet wurden – in erster Linie als Hausangestellte oder potenzielle Ehepartnerinnen.
Durch die Analyse zeitgenössischer Artikel zu Themen wie Hausarbeit, Ehe und soziale Netzwerke zeigt die Arbeit, dass Flüchtlingsfrauen im Allgemeinen positiver dargestellt wurden, insbesondere wenn sie sich an traditionellen Geschlechterrollen orientierten. Ihre Bereitschaft, sich zu assimilieren, im häuslichen Bereich zu arbeiten und einen Beitrag zu australischen Haushalten zu leisten, wurde hervorgehoben, während ihre Bildung und ihr früherer sozialer Status heruntergespielt wurden. Umgekehrt wurden Versuche von Flüchtlingsfrauen, sich auf dem Heiratsmarkt zu engagieren, als Bedrohung für die nationale, rassische und moralische Integrität dargestellt.
Unter Verwendung des Geschlechts als zentraler analytischer Kategorie beleuchtet der Artikel die Überschneidung von Rasse, Klasse und Geschlecht im Assimilationsprozess. Er argumentiert, dass die Medienberichte zwar restriktive Geschlechternormen auferlegten, den Flüchtlingsfrauen aber auch Möglichkeiten boten, innerhalb dieser Grenzen ihre Handlungsfähigkeit zu behaupten. Diese differenzierte Perspektive stellt die vorherrschende androzentrische Sichtweise in Frage und trägt zu einem inklusiveren Verständnis der Erfahrungen von Flüchtlingen im Australien der Zwischenkriegszeit bei.
Denise Ponholzer, Daniela Singer
Abstract
In den 1940er Jahren stellten die stagnierende Bevölkerungsentwicklung und der damit einhergehende Wunsch nach Wachstum ein großes Problem für Australien dar. Eine vorgeschlagene Lösung war die Einwanderung unbegleiteter minderjähriger Kinder. Einige davon waren deutschsprachig. In diesem Aufsatz wird die Diskussion zu diesem Thema zwischen 1943 und 1949 in den Zeitungen „The Daily Telegraph” und „The Sydney Morning Herald” analysiert. Frühere Forschungen konzentrierten sich eher auf die allgemeine Migration während dieser Zeit, aber bestimmte Veränderungen und Entwicklungen bei den eingesetzten Maßnahmen und Programmen sowie die Reaktion der Öffentlichkeit sind auch in diesem Fall relevant. Diese Reaktionen und das darauf folgende Verhalten reichten von Ablehnung über das Ziel der Assimilation bis hin zur Akzeptanz und Wertschätzung dieser jungen Migranten. Entsprechende Artikel aus den genannten Zeitungen wurden ausgewählt und anhand von sechs Analysekategorien untersucht: Thema, Art, Zweck, Haltung zur Migration, Tonfall und Begriffe. Die Ergebnisse stimmen weitgehend mit denen früherer Studien überein. Sie zeigen eine überwiegend positive Einstellung zur Migration und eine wachsende Wertschätzung für junge Migranten aus deutschsprachigen Ländern. Altersbeschränkungen bleiben bestehen, da jüngere Kinder die Assimilation erleichtern. Die verwendeten Begriffe sind größtenteils ähnlich, wobei die Bedeutung und Verwendung der Nationalität in „The Daily Telegraph“ höher ist. Während der allgemeine Ton überwiegend positiv ist, zeigen einige Artikel in „The Sydney Morning Herald“ eine stärkere Nutzung von Emotionen, um Empathie zu wecken. Nichtsdestotrotz ist die wachsende hoffnungsvolle Sichtweise auf Migration und die damit verbundenen Programme und Pläne sowie deren Förderung durchweg spürbar.
Anna-Maria Schierhuber, Thomas Leitner
Abstract
Der „Anschluss“ oder die Integration Österreichs in das nationalsozialistische Deutsche Reich im März 1938 beziehungsweise die Novemberpogrome desselben Jahres stellen signifikante Ereignisse in der Zeitgeschichte Österreichs dar und brachten für die ansässige jüdische Bevölkerung eine Verschlechterung der Lebensbedingungen. Deshalb verließen bis November 1941 130.000 Jüdinnen und Juden Österreich und schlugen in zahlreichen Ländern ein neues Kapitel ihrer Biographie auf.
Der Fokus dieser Arbeit liegt besonders auf der jüdischen Emigration nach Australien in den Jahren 1938 und 1939. Bis zum offiziellen Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Anfang September 1939 nahm Australien circa 5.000 Flüchtlinge aus Österreich auf. Jedoch war auch Australien, wie viele andere Länder zu dieser Zeit, anfangs zögerlich bei der Aufnahme größerer Gruppen deutschsprachiger jüdischer Flüchtlinge.
Vor diesem Hintergrund gibt diese Arbeit Einblicke, wie „The Daily Telegraph“, eine Zeitung aus New South Wales, diese Gruppe von Flüchtlingen porträtierte. Erreicht werden soll dies durch eine Analyse mehrerer Artikel, die zwischen Februar 1938 und September 1939 erschienen sind. Zudem soll herausgearbeitet werden, inwiefern europäische Ereignisse, beispielsweise der „Anschluss“ Österreichs, die Berichterstattung aus einer ethnischen und ökonomischen Perspektive beeinflussten.
[1] Klaus Bade, Jochen Oltmer, Migrationsforschung und Geschichte, in: Geschichte und Gesellschaft 40 (2014): 175–200.
[2] Zur Darstellung von medialen Flüchtlingsdiskursen in australischen Median, siehe: Strobl Philipp (Hg.), “They Trusted Us: But Not Too Much”: Transnationale Studien zur Rezeption deutschsprachiger Flüchtlinge in englischsprachigen Medien (Hildesheim, Universitätsverlag, 2020), bzw. Strobl Philipp (Hg.), Die Flüchtlingskrise der 1930er Jahre in australischen Tageszeitungen: Eine medienhistorische Darstellung (Hamburg: Verlag Dr. Kovac, 2019).
[3] Philipp Strobl, A History of Displaced Knowledge: Austrian Refugees from National Socialism (Leiden, 2025), S. 2; Eric Hobsbawm, Eric J., Age of Extremes: The Short Twentieth Century, 1914–1991 (London, 2004).
[4] Susanne Korbel und Philipp Strobl (Hgs.), Cultural Translation and Knowledge Transfer on Alternative Routes of Escape from Nazi Terror: Mediations Through Migrations (London, 2022).
[5] Frédéric Bonnesoer et al., eds., Geschlossene Grenzen: die Internationale Flüchtlingskonferenz von Evian 1938 (Berlin, 2018), 146; Klaus Neumann, Across the Seas: Australia’s Response to Refugees: A History (Melbourne, 2014).
[6] Philipp Strobl, Collective Refugee Agency and the Negotiation of Migration Laws inWartime Australia, 1939–1943, in: The Historical Journal 68 (2025): 627–646.
James Jupp, From White Australia to Woomera: The Story of Australian Immigration (Cambridge, 2002); Anna Dunkley, “The Immigration Debate in Australia: World War and Its Impact,” in: Parliamentary Library Research Paper Series (2015): 1– 17, 13.
[7] Teun van Dijk, Teun, Racism and the Press (London, 1991); Sabine Schiffer, Medien und Migration. In: Bauder, Harald/ Reutlinger, Christian (Hrsg.): Migration und Gesellschaft (Wiesbaden, 2017), 591–604.
[8] Klaus Bade, Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, (München, 2000); Günther Schlee, How Enemies are Made (Oxford, 2008).
[9] Jakob-Moritz Eberl, Timo Heidenreich, Die Darstellung von Migration in den Medien. In: Handbuch Migration und Medien, (2023), 15–34.
[10] Ruth Wodak, Martin Reisigl, Discourse and Discrimination: Rhetorics of Racism and Antisemitism (London, 2001); Alfred Schuetz, “The Stranger: An Essay in Social Psychology,” American Journal of Sociology 49 (1944): 499– 507.
[11] Strobl, A History of Displaced Knowledge; Rutland, Suzanne, Edge of the Diaspora: Two Centuries of Jewish Settlement in Australia (Sydney, 2001).
[12] Graeme Hugo, Graeme, A Century of Population Change. In: Jupp, James (Hg.): The Australian People (London, 2001), S. 66–90; James Jupp, From White Australia to Woomera: The Story of Australian Immigration (Cambridge, 2002).
[13] United States Holocaust Memorial Museum (2023): Refugees. [Online: https://encyclopedia.ushmm.org/content/en/article/refugees-during-the-holocaust]
[14] James Hammerton, Alistair Thomson, Ten Pound Poms: Australia’s Invisible Migrants (Manchester: 2005), Michael Marrus, The Unwanted: European Refugees in the Twentieth Century (Philadelphia, 2002).
[15] Jochen Oltmer, Migration: Geschichte und Gegenwart der Wanderung (Frankfurt, 2017).
[16] Philipp Strobl (15. Mai 2025). Die Zeitschrift „Historia Prima. Studentisches historisches Jahrbuch Niedersachsen“ als Praxisbeispiel für forschungs- und outputorientierte Lehre. Geschichtswissenschaftsdidaktik. Abgerufen am 20. Juli 2025 von https://doi.org/10.58079/13xj
